Martha Günter kennt kein Jammern. Ihr Leben lang musste sie kämpfen. Die 72-Jährige, die in der Fuggerei lebt, bezieht eine schmale Rente und muss jeden Cent umdrehen. Sie überlegt sogar, ob das Geld reicht, um die Zutaten fürs „Loibla“-Backen in der Vorweihnachtszeit zu kaufen. Umso wichtiger ist für die Augsburgerin das Lebensmittelpaket, das sie einmal im Monat geschenkt bekommt.
Seit zehn Jahren schon gibt es das Projekt „Pakete gegen Armut im Alter“, das arme Senioren in der Stadt unterstützt. Was zunächst für nur zwei Jahre angedacht war, ist längst eine feste Einrichtung im Kampf gegen Altersarmut geworden. Die Essenspakete sind dringend nötig. In Augsburg leben immer mehr Senioren am Existenzminimum.
Auf ihrer Tour durch Augsburg begegnen ihr oft Armut und Einsamkeit
Wenn Marlies Ott gegen Ende eines Monats die Fuggerei betritt, hat sie für Martha Günter nicht nur das Lebensmittelpaket im Gepäck. Sie bringt auch Zeit mit. Marlies Ott arbeitet ehrenamtlich für das Pakete-Projekt. Sie weiß, dass sich einige der Senioren auch über einen Plausch freuen. Manche von ihnen haben nicht viel Ansprache. Armut macht auch einsam. Helferin Ott ist selbst Rentnerin. „Ich wollte etwas Sinnvolles mit der Zeit nach meinem Arbeitsleben anfangen“, erklärt die drahtige 75-Jährige. „Mir geht es gut, da kann ich auch etwas zurückgeben“, sei ihr Gedanke gewesen, als sie vor zehn Jahren von dem Projekt erfuhr. Seitdem will sie ihr Ehrenamt nicht missen. „Es gibt mir viel.“ 32 Klienten besucht Marlies Ott dafür jeweils an einem Tag im Monat. Knapp acht Stunden ist sie unterwegs. Ihr begegnen dabei oft Armut und Einsamkeit.
In Augsburg erhalten derzeit 88 Frauen und Männer im Rentenalter die kostenlosen Lebensmittelpakete. Die Caritas packt die Pakete, die Malteser fahren sie aus. Die Kartei der Not, das Leserhilfswerk unserer Zeitung, unterstützt das gemeinsame Projekt finanziell. 27 Senioren wurden 2009 mit den ersten Lebensmittelpaketen beliefert, berichtet Gabriela Hoffmann von der Caritas. Sie und ihre Kollegen beobachten: Altersarmut nimmt in Augsburg zu. Das bestätigt Sozialreferent Stefan Kiefer. Vergangenes Jahr hätten 3200 Haushalte im Alter Grundsicherung erhalten. Diese Zahl umfasse aber längst nicht alle tatsächlich „armen“ Rentner, betont Kiefer.
Altersarmut hat sich in Augsburg verändert
Man könne davon ausgehen, dass 40 Prozent derer, die eigentlich ein Anrecht auf Grundsicherung haben, keinen Antrag auf soziale Leistungen stellen. Der Grund? „Scham, Angst vor behördlicher Kontrolle und Überforderung mit Antragsunterlagen“, nennt der Sozialreferent Beispiele. Im Kampf gegen Altersarmut gilt es, dass sich Hilfsdienste und städtische Stellen gut vernetzen. So arbeitet Bernadette Moritz nicht nur bei einer der 14 städtischen Fachberatungen für Senioren, sie hilft mit ihrer Erfahrung auch beim Projekt „Lebensmittelpakete“ mit. Immer wieder weisen die ehrenamtlichen Verteiler der Pakete die Beraterin auf Missstände hin. Für Arnd Hansen, Geschäftsführer der Kartei der Not, ist dies auch ein wesentlicher Aspekt des Projekts. „Mit dem Besuch lässt sich vor Ort schauen, ob ein älterer Mensch zurechtkommt oder ob er anderweitig Hilfe benötigt.“
Die Verantwortlichen bei den Maltesern und der Caritas stellen auch fest, dass sich Altersarmut in Augsburg verändert hat. 80 Prozent der Klienten seien vor zehn Jahren noch weiblich gewesen. „Inzwischen ist die Armut männlicher“, meint Gabriela Hoffmann. „Von den Menschen, die wir beliefern, sind mittlerweile 45 Prozent Männer.“ Viele seien bereits vor Renteneintritt auf Hartz IV angewiesen gewesen. Das mache sich jetzt bemerkbar.
Steigende Lebenshaltungskosten oder auch geringere Zuzahlungen der Krankenkassen für Medikamente zählten zu den Gründen der steigenden Altersarmut. Auch die Migration, vor allem in späteren Lebensjahren, lasse die Zahl der bedürftigen Senioren steigen. Hoffmann schildert den Fall eines Rentners mit Migrationshintergrund. Er habe 25 Jahre in Augsburg gearbeitet und davor 20 Jahre in seinem Herkunftsland. 350 Euro Rente bekomme er jetzt. „Wie soll man denn davon leben?“, fragt sie.
Nach der Scheidung begannen die finanziellen Sorgen
Bei Martha Günter begannen die finanziellen Sorgen, als ihre Ehe scheiterte. Die Kinder waren noch klein, als sie und ihr Ehemann geschieden wurden. Da sie sich nun allein um die Kindern kümmerte, musste sie ihre Arbeit als Schuhverkäuferin reduzieren. Das schlägt sich freilich auf ihre Rente nieder. Aber sie will sich nicht beklagen. „Jammern ändert nichts. Man muss das Beste aus dem machen, was man hat“, sagt die freundliche Frau, die ihre kleine Wohnung in der berühmten Sozialsiedlung weihnachtlich dekoriert hat. Günter wirkt in ihrer Bescheidenheit zufrieden.
Armut wird von Betroffenen unterschiedlich wahrgenommen, weiß Sozialreferent Stefan Kiefer. „Wer ein Leben lang bescheiden gelebt hat, wird im Alter so weiterleben. Wer sich stark mit der umgebenden Bevölkerung vergleicht, wird die Benachteiligung deutlicher spüren.“ Martha Günter freut sich jedes Mal, wenn Marlies Ott das Lebensmittelpaket bringt. „Früher holte ich mir Essen bei der Tafel. Da musste ich mit dem Rollator noch bis nach Oberhausen. Jetzt ist es wunderbar.“ Helferin Ott tätschelt ihre Hand.
In den zehn Jahren hat sich zwischen den beiden Damen ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Ott sagt, sie bewundere Martha Günter dafür, wie sie ihr Leben trotz aller Widrigkeiten und auch gesundheitlicher Probleme positiv meistere. Von Menschen wie Martha Günter, findet die Helferin, könne man viel lernen. Zudem sei die Gesellschaft den Rentnern etwas schuldig. „Es ist ganz wichtig, dass die Menschen, die ihr Leben lang etwas geleistet haben, an ihrem Lebensabend unsere Achtung und Fürsorge bekommen.“
Wer sich bei dem Projekt „Pakete gegen Armut im Alter“ engagieren will, kann sich an: augsburg@malteser.org oder 0821/2585051 wenden. Auch werden Spenden für die Pakete (eines kostet zehn Euro) gesucht: paketegegenarmut@caritas-augsburg-stadt.de.
Von Ina Marks