Wenn Martin Haertle Farbroller oder Pinsel in der Hand hält, ist er kaum zu bremsen. Der 52-jährige Maler in Diensten der psychosozialen Hilfsgemeinschaft „Hoi“ hat enormen Spaß daran, alten Wänden und Decken neuen Glanz zu verleihen. Am Alten Holzplatz legt sich Haertle allerdings ganz besonders ins Zeug. Denn dort verwirklicht sein Arbeitgeber gerade ein Leuchtturm-Projekt: Der Hoi-Verein hat nahe des Illerufers ein Wohnhaus gekauft, um dort zwei ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung einzurichten. Das Besondere: Inklusion, das Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap, spielt dabei eine besondere Rolle, sagt Hoi-Geschäftsführerin Petra Ruf.
Deshalb werden im selben Haus neben den beiden Dreier-WGs auch eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern sowie ein Pärchen mit geringem Förderbedarf einziehen. „Eine gute Mischung, die alle Bewohner voranbringt“, ergänzt Fabian Nold, der bei Hoi den Bereich Wohn- und Lebenshilfen leitet. Etwa 60 Männer und Frauen leben derzeit in begleiteten Wohnprojekten des 1987 gegründeten Vereins, etwa in der Feilbergstraße und dem Stiftsgartenweg in Kempten.
Die Wohnungen sind teils angemietet, teils im Vereinseigentum. Überall geht es aber um dasselbe Ziel: Psychisch kranken Menschen zu Normalität, neuer Stärke und letzten Endes einem selbstständigen Leben zu verhelfen. Dabei wird für jeden Bewohner ein individueller Hilfeplan ausgearbeitet. Ist zusätzlich Pflegebedarf nötig, kommen flankierend Einrichtungen wie die Sozialstation hinzu.
Insgesamt gut 1,3 Millionen Euro wird der gemeinnützige Verein am Ende in Kauf und Sanierung des 1908 errichteten Gebäudes am Alten Holzplatz investieren. „Leider haben unerwartete Schäden am Gebäude und der Baustoffmangel knapp 300 000 Euro Mehrkosten verursacht“, sagt Ruf. Fehlerhafte Toilettenabdichtungen beispielsweise hatten im Lauf der Jahrzehnte zu erheblichen Schäden an Decken und Wänden geführt. Die aber waren auf Anhieb nicht zu erkennen.
Trotz dieser zusätzlichen Hürden sei das Projekt auf der Zielgeraden angelangt: Bereits Anfang September sollen die ersten Bewohner einziehen. Finanziert wird das Vorhaben zum Teil aus Rücklagen des Vereins. Weil die aber bei weitem nicht reichen, ist Hoi auf Fördermittel des Bezirks Schwaben sowie auf möglichst viele Spenden angewiesen. Sparkasse, AÜW und Stadt haben das Projekt bereits unterstützt. 50 000 Euro stammen zudem von der Kartei der Not. Das Leserhilfswerk unserer Zeitung bezahlt Küchenzeilen und weitere Teile der Einrichtung der Wohngemeinschaften. Außerdem kommt die Kartei für die Gestaltung eines Gartenstücks auf, das die Bewohner nutzen dürfen. „Jede Wohnung bekommt dank dieser großzügigen Unterstützung ein Hochbeet“, freut sich Ruf.
Auch eine Terrasse sowie eine kleine Hütte als wetterfester Treffpunkt sind vorgesehen. Bei der Gestaltung wollen die Bewohner selbst mit anpacken. „Der Garten spielt für psychisch kranke Menschen eine wichtige Rolle. Denn er hilft dabei, Stabilität zu bekommen und Verantwortung zu übernehmen“, sagt Nold. Zudem fungiere er als Rückzugsort, der Ruhe ins Leben bringt.
Während Maler Martin Haertle gerade dem Treppenhaus und den künftigen Wohnungen den richtigen Anstrich verpasst, schauen sich mögliche Bewohner die Räume an. Ein 34-jähriger Oberallgäuer etwa würde liebend gerne in eine der beiden Wohngemeinschaften einziehen. „Das Wichtigste für mich wäre der tägliche Kontakt zu den anderen Bewohnern“, sagt er. Der fehle leider in seinem Elternhaus, in dem er derzeit wohnt. Sich fest in eine Gemeinschaft einzubringen, sei kein Problem – im Gegenteil: „Dann bin ich wieder eigenständig.“